„Agilität funktioniert nicht ohne Regeln – im Gegenteil“
Beschleunigung wohin man blickt. Trends und technische Entwicklungen ändern die heutige Arbeitswelt genauso wie Freizeit, Familienleben und Gesellschaft. Mit ein Motor: die zunehmende Digitalisierung.
Ganze Wirtschaftszweige verhandeln dieser Tage ihre Spielregeln neu. Die Fachliteratur spricht von „Transformation“. Manche Riesen der Vergangenheit wanken bereits, Startups sind die neuen Stars auf der Überholspur, wenige Jahre alt, mit einem Bruchteil an Mitarbeitern, die aber eines verstanden haben und leben dürfen: Im Internetzeitalter zählt die Beweglichkeit.
Und so ist Agilität mehr denn je in aller Munde – und der Begriff längst seiner jüngsten Heimat, der Softwareentwicklung, entwachsen, um auf ganze Organisationen angewendet zu werden. Das Tempo erfordert es. „Wie können wir Vorhaben planen, die in einer Zukunft fertiggestellt werden, die sich aus heutiger Sicht nur grob umreißen lässt?“, lautet eine mögliche Frage. Bei Netural beschäftigen wir uns schon länger mit Agilität in Projekten und haben 2016 ganz bewusst unter diesen Titel gestellt. Wieso wir denken, dass dieses Thema derart von Bedeutung ist, klären die Geschäftsführer Albert Ortig und Stephan Lechner in einem Interview:
Netural hat sich für 2016 Agilität in allen Bereichen und Belangen auf die Agenda gesetzt. Nun war Netural bislang ja auch nicht unbeweglich. Wieso also?
AO: Gute Frage. {lacht} Wir haben bereits heute eine sehr hohe Spannkraft im Unternehmen. Dennoch fehlt es manchmal an Spielraum, um Entscheidungen dort zu treffen, wo sie erforderlich werden. Es geht also darum, noch schneller und direkter agieren zu können. Der erste Schritt ist im Kopf, der zweite betrifft die Struktur.
Was ist Agilität in euren Augen? Nur unternehmerische Beweglichkeit – oder mehr?
StL: Für mich ist Agilität der professionelle Umgang mit Ungewissheit. Digitalprojekte werden immer komplexer und gleichzeitig ihre exakten Ziele schwerer fassbar. Noch während ihrer Durchlaufzeit können sich Rahmenbedingungen massiv ändern. Wer da glaubt, mit einem „so vermessen wir das, so planen wir das, so machen wir das“ an die Sache herangehen zu können, erreicht sehr wahrscheinlich nicht, was er wollte. Professionell ist, elastisch auf Veränderungen einzugehen …
AO: … und zwar auf solche, die nicht kalkulierbar sind. Das ist vielleicht der zentrale Unterschied gegenüber klassischen Projektrisiken, wie es sie seit jeher gibt. Da lässt sich in der Regel abschätzen, was passieren kann, wenn Fall A, B oder C eintritt. Mit Agilität hingegen müssen wir Projektunsicherheiten begegnen. Entwicklungen, die nicht wirklich absehbar sind. Unsere Umwelten sind durch hohe Dynamik und Ungewissheit geprägt.
So wird aus Durchführen Annähern?
AO: Ja, und das in jeder Hinsicht: ein Annähern an die möglichen Lösungen – zum Beispiel mittels Prototypen – ein Annähern an den Realisierungshorizont und natürlich auch ein Annähern an das Projektvolumen, sprich: Budget.
Das heißt, Aufbruch auf eine Reise, bei der das Ziel nicht wirklich feststeht, sondern nur die Richtung?
StL: Genau. Und gerüstet mit Instrumenten, um sich auch dann einen Überblick verschaffen zu können, wenn sich die finale Zielsetzung erst am Weg klärt.
AO: Wichtig ist: Am Ende der Reise steht dennoch eine Punktlandung, oder nahezu eine Punktlandung. Aber diese ist nun nicht mehr eins zu eins das Abbild der ursprünglich definierten Ziele. Denkt man zum Beispiel an ein neues digitales Service, das zuvor noch niemand probiert hat. Heißt, wir müssen Projekte sehr viel generalistischer und agiler angehen und anfangs weniger den Weg beschreiben, als definieren, welche Werkzeuge wir in unserem Rucksack mitnehmen wollen.
Heruntergebrochen auf Prozesse und Strukturen: Wo setzt ihr an?
StL: Ich verstehe Agilität als Paradoxon. Ich glaube, dass die gewünschte Veränderlichkeit in den Projekten und zugehörigen Aufgaben nur dann bewältigbar bleibt, wenn man eine sehr strukturierte und klare Vorgehensweise dazu hat. Agilität funktioniert nicht ohne Regeln – im Gegenteil. Und Agilität ist kein Selbstzweck. Ob ein Projekt agile Strukturen benötigt, kann man vorab diskutieren. Mitunter ergibt es sich aus den Anforderungen des Kunden. Und ja, es gibt Vorhaben, die einander ähneln, wie zum Beispiel klassische Web-Projekte. Hier finden sich auch wiederkehrende Muster, was die Unsicherheiten betrifft. Aus diesen können wir Regeln ableiten. Genauso sind wir aber mit Projekten konfrontiert, die in ihrer Form völlig neuartig sind. Etwa im Netural Lab. Hier wird es deutlich schwieriger, Anforderungen ans Framework zu definieren.
AO: Netural durchläuft seit Jahren eine kontinuierliche Reorganisation. Wir waren ja immer schon der Überzeugung, dass einzig die laufende Veränderung als Faktor wirklich konstant bleibt. Aber wir sind heute immer noch ähnlich strukturiert, wie die meisten anderen Unternehmen, auch wenn wir die Strukturen in groben Iterationen neu formieren. Was wir jetzt angehen, ist, einen Rahmen zu schaffen, innerhalb dem sich unsere Projekte, aber auch die Organisation selbst, permanent an die Gegebenheiten anpassen kann. Das geht weit über den Einsatz von Scrum und vergleichbaren Vorgehensmodellen hinaus.
Und wie sieht so eine agile Organisation aus?
AO: Das kann ich dann in eineinhalb Jahren sagen. {lacht} Aber ein paar Eigenschaften erscheinen mir naheliegend: eine agile Projektorganisation benötigt eine optimales Service-Rückgrat. Entscheidungen sollten nicht hierarchisch getroffen werden müssen, sondern können dort, wo die Frage auftritt, geklärt werden. Und es bedarf eines hohen Maßes an Klarheit, Verlässlichkeit. – Vergleichbar mit den Rahmenbedingungen beim Pilotieren eines Flugzeugs.
Was sind für eine “agile” Netural die Symptome für Erfolg?
StL: Geringere Reibungsverluste. Zufriedenere Kunden und Mitarbeiter.
AO: Mehr Eigenverantwortung. Probleme, die an Ort und Stelle gelöst werden können. Und Projekte, die ihre Ziele erreichen, auch wenn sich die digitale Welt während der Umsetzungsphase weiter dreht.