Nachgefragt: Wie geht Start-up? - Interview mit Netural-Gründer Albert Ortig
Netural und Roomle Gründer & CEO Albert Ortig will Ideen ermöglichen, und, wenn sie funktionieren, dürfen sie auch lukrativ sein. Bei aller Erfahrung ist Ausgründen aber noch immer nicht Routine für ihn.
Albert, soeben ist wieder ein Start-up von dir flügge geworden, sogar von einer „Fließband-Fabrik“ war schon zu lesen. Ist Unternehmen bauen für dich bereits Routine?
Die Gründungen haben natürlich einen roten Faden. Es gibt mittlerweile auch schon ein sehr gutes Verständnis dafür, was zu tun ist, um von der Idee zum Prototypen und weiter zum Unternehmen zu kommen. Zum einen braucht es dafür den Fokus auf die Nutzer des Produkts, zum anderen auf das Team dafür. Man will einfach sehen, ob funktioniert, an was man glaubt - und das will man dann ermöglichen. Das Ermöglichen ist aber niemals Routine, sondern immer individuell - wenngleich das natürlich auf viel Erfahrung der letzten Jahre fußt.
Jedes „Kind“ hat ja seine Besonderheiten, und es gibt derer schon viele in der Netural. Was war oder ist das Besondere an Roomle?
Roomle ist die erste Ausgründung, bei der wir auch den Venture Capital Markt mit einbezogen haben. Insofern ist das etwas völlig anderes, als die rein operative Ausgründung eines Segments. Andererseits beschäftigt uns Roomle schon seit zwölf Jahren, und wir haben alle Phasen einer Innovation durchgemacht, die passieren können: Vom Finden des richtigen Zeitpunkts zum Innovieren des Marktes bis zur Auswahl der Technologie - dass wir damals entgegen der damaligen Meinung in der Möbelindustrie auf die Cloud gesetzt haben, ist heute ein wesentlicher Vorteil. Besonders ist auch, dass wir mit unserer Technologie einen Paradigmen-Wechsel von der Produktplanung hin zur Konfiguration angestoßen haben.
Roomle war das erste Venture-finanzierte Start-up von Netural, mit namhaften und seniorigen Investoren mit an Bord. Wie gelingt die gemeinsame Reise?
Unsere Prämisse ist da so einfach wie bedeutsam: Menschen, mit denen man eng zusammenarbeitet, müssen auf selber Wellenlänge sein. Die Auswahl der Partner ist nicht nur eine Frage der Investitionssumme, sondern auch eine des Verständnisses und der Vision. Die Investoren, die mit einsteigen, besonders die Wissenden der Industrie, sind enorm wertvoll. Hier ein vertrauensvolles Verhältnis zu haben, ist, wie überall im Business, eines der Erfolgskriterien. Unter den Roomle-Investoren hat es im Wesentlichen einige Personen gegeben, die ich zu jeder Tages- und Nachtzeit anrufen konnte, das kann man nicht hoch genug bewerten.
Roomle ist 2014 angetreten, um den planungs-basierten Möbelverkauf zu revolutionieren. Was macht den Verkauf an die deutsche Homag Group AG jetzt für dich zum „Perfect Match“?
Roomle hat sich sehr rasch mit dem Thema Konfigurierbarkeit beschäftigt, denn die zentrale Frage in der Möbelbranche ist: Wie kann ich komplexe Produkte für den Kunden planbar machen - über alle Prozesse bis hin zur Produktion? Roomle hat es in den letzten sieben Jahren geschafft, hinsichtlich Performance, Experience und Integrierbarkeit absolut führend zu werden. Homag hat als Weltmarktführer für integrierte Lösungen in der Möbelproduktion seine Werke mit Maschinen und Prozessen ausgestattet, die eine vollautomatische Herstellung holzbasierter Produkte ermöglicht - und diese Kompetenz wird jetzt über Schnittstellen und Standards verbunden. Für Roomle bedeutet das natürlich einen tollen Markt, wir sind uns aber auch kulturell sehr nahe - dementsprechend gilt, was auch Investoren-seitig gilt!
Netural hat sich das Ausgründen von eigenen Produkten inklusive der Teams zum Prinzip erhoben. Welches Mindset und welche Mitarbeiter braucht es dazu?
Netural hat vor fünf Jahren die gesamte Organisation in eine agile Unternehmensstruktur transformiert. Das Zentrale daran ist, dass jeder Mitarbeiter zu jedem Zeitpunkt die volle Transparenz für Entscheidungen verfügbar hat, im besten Fall mit absoluter Rollenklarheit über die Aufgaben, Hoheiten und Schnittstellen. Entsprechend suchen wir immer stärker unternehmerische Persönlichkeiten, bei denen die Sache im Vordergrund steht, und nicht der persönliche Nutzen. Wir wollen zunächst Ideen ermöglichen, und wenn sie funktionieren, dürfen sie auch lukrativ sein.
Netural entwickelt im Kern Digitale Services für mittelständische und große Unternehmen, tritt aber immer stärker auch in der Rolle als Company Builder auf. Wo ist die Henne, wo das Ei?
Netural ist in ihrer DNA ein Digital-Dienstleister. Eine unserer Kernkompetenzen ist, dass wir sehr rasch im Business verstehen, wo die Anforderung ist, und wo wir wirksam sein können. Da passiert es immer wieder, dass wir Lücken am Markt für digitale Produkte sehen, und diese, sofern gut für uns abbildbar, aufgreifen und realisieren. Insofern ist das Entwickeln digitaler Services für unsere Kunden zentral, und aus diesem Wechselspiel ergeben sich immer stärker auch Ventures - eigene oder für unsere Kunden. Das eine bedingt das andere. Würden wir nicht so genau verstehen, wie der Markt tickt, könnten wir auch nicht so präzise am Produkt sein.
Was empfiehlst du Corporates, die ebenfalls Start-Ups an den Start schicken wollen?
Das ist ein bisschen wie am Aktienmarkt. Jeder gute Investmentberater empfiehlt, Aktien langfristig zu denken und entwickeln zu lassen. So ist es auch bei Start-ups. Man muss sie eigenständig arbeiten lassen und vertrauen, dass sie das im Sinne der Ausgründung machen. Für dieses Vertrauen ist natürlich das richtige Team erforderlich, und auch ausreichend Kapitalisierung. An letzterem scheitern Corporates aber am wenigsten, eher am nicht loslassen Können, oder wenn das Glauben vor das Wissen gestellt wird.
Du siehst dich selbst in der Rolle des „Ermöglichers“. Was würde dich reizen, in Zukunft zu ermöglichen?
Da gibt es sehr viele Themen, weil wir mit dem, was wir machen, sehr viele Herausforderungen lösen oder besser machen können. Dazu gehört auf einer inhaltlichen Ebene, dass wir die Technologie für unterschiedliche Industrien soweit vorantreiben, um diese gewissermaßen zu revolutionieren oder effizienter zu machen. Unser Interesse reicht da von der Fertigung über den Handel bis zur Gesundheit. Auf einer persönlichen Ebene möchte ich es dem Team ermöglichen, grenzenlos denken zu können.
Man kennt dich als Nutzer schöner Alltagsdinge. Was sind deine aktuellen Top 3?
Ganz neu: meine Zitruspresse von Zaksenberg Holit, die ihren Fokus genau auf dem hat, was sie machen soll: auf auspressen. Insofern ist sie völlig überkandidelt, aber es macht Spaß, für mich und meine Familie jeden Tag frischen Orangensaft zu machen. Das liegt daran, dass sie gut aussieht, hervorragend funktioniert und leicht zu reinigen ist. Im Büro freue ich mich auf unser Vesta-Board: Ein mechanisches Messaging-Display, das digital gefüttert wird, quasi par excellence das Digitale ins Analoge überführt. Last but not least meine Silhouette Lesebrille — die leichteste Brille der Welt aus Titan - die sogar einen Nicht-Brillenträger wie mich begeistert!
Was lässt dich grenzenlos denken?
Fünf Tage Urlaub! Aus diesem Grund geht das auch nicht allzu oft, denn sonst wäre es nicht zu schaffen (lacht).
Danke für das Interview!
Sehr gerne.